„Unperfekt“ – Ästhetik ist eine Frage der Gewohnheit!

Der Vortrag von Gerd Erhartt im neuen „the frame“ in Weiler, Vorarlberg vor dem „Who is Who“ der Vorarlberger Architekturszene über Haltungen und Prinzipien von querkraft analysierte unser gesellschaftliches Verhalten und unsere Rezeption von Ästhetik durchaus pointiert und mit großem Unterhaltungswert und stellte dabei so manches in Frage.

Über 160 Besucher*innen wollten sich den Event von architektur in progress im frame mit querkraft nicht entgehen lassen. Vielleicht hat da auch die legendäre Gastgeberschaft von Harald Künzle mitgewirkt – der Vortragsbereich war bis auf den letzten Platz gefüllt, sodass noch kurzfristig zusätzliche Stühle herangeschafft werden mussten. Was bei reiter design kein Thema war.

Was und wer ist schon perfekt? Gleich zu Beginn räumte Gerd Erhartt mit den zuweilen perfektionistischen Ästhetik-Ansprüchen der Architekt*innenschaft auf. Denn Ästhetik sei eine Frage der Gewohnheit. Und manchmal sind es gerade die kleinen Fehler und Irritationen, die etwas spannend machen. Er untermauerte seine These anhand des Grazer Uhrturms, einer „Beisl“-Garderobe und dem Portrait von unserem jungen Altbundeskanzler. Die Anfänge von querkraft erläuterte er unter dem Titel „Mensch-Architektur-Geld“ – letzteres war bauherrnseitig in den Anfangsjahren von querkraft nie vorhanden. Daher war es notwendig stets sehr effizient und kostenschonend zu planen und zu bauen. Daraus entwickelte sich bei querkraft ein „poetischer Pragmatismus“ der dem Unperfekten viel Platz einräumt ohne jedoch banal zu werden.

Ob im Industriebau oder im Wohnbau – stets wurde hinterfragt, überlegt und „jedes Gramm Fett“ abgespeckt um einen zusätzlichen Freiraum für die Nutzer*innen zu schaffen. Ein kreativer Umgang durch Verfremdung oft günstigster Massenprodukte. Stets steht der Mensch im Mittelpunkt und das Material ist Mittel zum Zweck. Vom Hochhaus bis zum Museum. Fitzcarraldo an der Drau – das Liaunig Museum – ermöglichte eine Weiterentwicklung auf Etappen. Raum und Zeit stehen oft in Abhängigkeit zu einander – manche Projekte brauchen Jahrzehnte und enorme Hartnäckigkeit und Konsequenz. Ein Markenzeichen von querkraft, dem die Wiener*innen beispielsweise die Wiederermöglichung von straßenseitigen Balkonen verdanken.

Aber auch das Scheitern wurde thematisiert. Beispielsweise anhand des ambitionierten ReUse-Konzepts für den außergewöhnlichen Österreich-Pavillon auf der EXPO in Dubai, der trotz bereits organisierter Nachnutzung aus rein formaljuristischen Gründen wieder zu Recyclingbeton granuliert wurde. Immerhin die Erfahrungen zur Klimaanpassung und Hitzereduktion durch intelligente Begrünungskonzepte konnte dann auch beim weltweit ersten „Urban Ikea“ am Wiener Westbahnhof umgesetzt werden.

Im letzten Teil zeigte Gerd Erhartt auf, welche „Innovationen“ zu enormen Veränderungen unserer Gesellschaft bzw. unseres Planeten geführt haben. Und wie deren überzogene Kommerzialisierung zu Gegensätzen geführt haben, die jeder Logik zu widersprechen scheinen. So weist beispielsweise der achte Wiener Gemeindebezirk Josefstadt die größte Bebauungsdichte und den geringsten Grünraumanteil in der Bundeshauptstadt auf. Ausgerechnet dieser Bezirk weist den größten Anteil an SUVs pro Kopf in Wien auf obwohl er mehrheitlich von Grünwähler*innen bewohnt wird. Auch die aktuelle „Mobilitätswende“ sieht Erhartt als reine Antriebswende der Automobilindustrie. Vom Verbrennungsmotor zum E-Antrieb, deren Vehikel immer größer und schwerer werden und noch mehr öffentlichen Raum wegnehmen. Raum, der für die Menschen und für eine Stadt so wertvoll und wichtig wäre - als essentieller Faktor für Lebensqualität. Manche Fehler scheinen wir nicht zu erkennen, weil wir uns daran gewöhnt haben. Oder wissen Sie wieso fast alle E-Autos den Ladestecker auf der Fahrerseite und damit zumeist straßenseitig angeordnet haben, obwohl alle Ladesäulen am Gehsteig situiert sind? We are living in an unperfect world!

 

Volker Dienst 20230516

querkraft

querkraft architekten werden uns im neuen „frame“ in Weiler in Vorarlberg deren vielfältige Projekte vorstellen. East meets West – und natürlich werden Highlights wie der erste Urban IKEA in Wien und der EXPO 2020 Pavillon in Dubai nicht fehlen. Am Tag danach, am 28. April freuen wir uns auf eine Exkursion zur neuen Mitte in Hohenems, mit dem Projektentwickler Markus Schadenbauer und beteiligten Architekt*innen.

 

www.querkraft.at

 

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