Das Prinzip des positiven "Hoffnungsdrucks"
Über 180 Gäste sind zu querkraft in die alte Börse gekommen um den mit Spannung erwarteten Vortrag „Geschüttelt, nicht gerührt“ von Winkler+Ruck Architekten zu erleben. Zum Schwerpunkt „Bauen im Bestand“ wurden drei bemerkenswerte Museumsprojekte vorgestellt, die in denkmalgeschützten Gebäuden aus drei unterschiedlichen Bauepochen gestaltet wurden.
Klaudia Ruck stellte das 1994 gegründete und seit 1998 in Klagenfurt ansässige Büro mit einer bemerkenswerten Statistik vor: 10 Jahre, 6 Museumswettbewerbe, 4 Gewinne, 3 Realisierungen im denkmalgeschützten Bestand (2 davon gemeinsam mit Ferdinand Certov).
Bei der Schatzkammer Gurk war das „Abstandhalten“ zum historischen Bestand gestalterisches Prinzip. Vom 850 Jahre alten Gewölbe der Probstei aus Steinschlichtungen, die wir auch heute trotz Technik in der Form nicht mehr realisieren könnten, wurde durch Kiesschüttungen respektvoll Abstand gehalten. Die darin situierten Holzflösse und Ausstellungsvitrinen aus heimischem Lärchenholz erlauben Bewegung, Alterung und Verformung des Holzes. Eine in ihrer Schlichtheit, handwerklichen Qualität und Materialität beeindruckend wie sensible Intervention, die keinen Anspruch auf Vollendung hat. Gestaltung, die das Ende offen lässt - Bauen als Kontinuum.
Das gründerzeitliche Landesmuseum im Rudolfinum in Klagenfurt, seit Herbst 2022 als kärnten.museum eröffnet, wurde von Winkler+Ruck zuerst einmal kräftige auf den Kopf gestellt und solange „geschüttelt“, bis alle unnötigen Anlagerungen aus dem Ziegelbau „herausgefallen“ sind. Dieses „Aufräumen“ brachte erst den architektonischen Juwel von Architekten Gustav Gugitz zum Vorschein. Der Innenhof wurde mit einer filigranen Glasdachkonstruktion zum zentralen, verbindenden und lichtdurchfluteten Element. Besucher*innen können sich über in Bodenplatten eingefräste Landkarten bzw. auch über in den Boden eingelassene Ortsschilder, die sich je nach Provenienz in Deutsch, Slowenisch oder Italienisch nach unterschiedlichen Himmelrichtungen ausrichten, im Raum verorten und Orientierung aufnehmen. Da die Haupterschließung der gründerzeitlichen Struktur stimmig war, wurde sie beibehalten und anstatt die Gebäudeorientierung zu drehen, drehten Winkler+Ruck den „Stadtraum“ um das Museumsgebäude durch eine geschickte Grünraumgestaltung mit „Baumhalle“ und Kiesflächen, die auch die benachbarten Gebäude fassen. Das Museum steht nun auf einem durchgrünten „Tablett“ und die ursprüngliche Seitengasse, zu der der historische Haupteingang orientiert war, ist samt den parkenden Autos verschwunden. Ein Gewinn nicht nur für die Museumsgäste, sondern auch für die ganze Stadt.
Das dritte Museumsprojekt, wieder ein Wettbewerbsgewinn, der ebenso wie Klagenfurt von Winkler+Ruck in Zusammenarbeit mit Ferdinand Certov realisiert wurde, stellte städtebaulich wie architektonisch die größte Herausforderung dar. Das in die Jahre gekommene Wien Museum benötigte die Verdoppelung des Raumvolumens – eine „Museumsmaschine“ wurde nachgefragt. Der Nachkriegsbau von Oswald Haerdtl, der als dreigeschossiger Pavillon, ursprünglich hinter einer Baumreihe und durch einen stark frequentierten Kreisverkehr vor der Karlskirche vom Resselpark getrennt war, war „aus dem Platz gefallen“. Und ebenso aus seiner Form, denn die bei einer späteren Renovierung veränderte Fassade bröckelte bereits. Durch das „Andocken“ des benachbarten Lippert-Baus wurde das Wien Museum zur Randbebauung degradiert. Und spätestens seit der in den 1970er Jahren vorgenommenen Umgestaltung in Folge des U-Bahnbaus und der damit verbundenen Umgestaltung des Karlsplatzes, sowie des von Sven-Ingvar Andersson gestalteten Resselparks, stellte sich die Frage welcher Baukörper die nunmehrige Nordostecke des Karlsplatzes stärken könne
Winkler+Ruck entschieden sich für ein Konzept, das „aus Haerdtl herauswächst“, den Bau „auf Augenhöhe“ mit den Fassaden des Portikus der Karlskirche, der TU und des Musikvereinsgebäudes hebt. Die vom Museum geforderte Blackbox für die Wechselausstellungen hält über das „Fugengeschoss“, dass als Kommunikationszone dient, einen „Respektabstand“ zum Haerdtl-Bau ein. Sie schwebt, mit vier 90cm hohen „Stahlbänder“ auf einen Stahlbeton-Pylon aufgehängt, der seinen „Fuß“ behutsam in das Atrium des historischen Gebäudes setzt, ohne dieses zu belasten. Die skulpturale Ausformung der in sägerauen Brettern geschalten Stahlbetonstruktur lenkt auch das Licht in den spektakulären Zentralraum, der auch eine kontinuierliche Erschließung für die unteren Geschosse der Dauerausstellung bis hinauf ins Fugengeschoss ermöglicht. Diese wiederum ermöglicht auf „Baumkronenhöhe“ des Resselparks den Horizontblick über den Karlsplatz.
Das neue „Kleid“ der Bestandsfassade, nähert sich wieder dem ursprünglichen Erscheinungsbild bzw. Marmorfarbton von Haerdtl an und verbindet gleichzeitig auch mit dem Neubau. Und ebenso war Winkler+Ruck eine schlichte, handwerkliche Ausformung der neuen Bauteiloberflächen durch raue, händisch eingelegte Schalungsbretter wichtig, um „nicht von der Industrie überrollt zu werden“. Wie beim Innenraum wurde auch die Fassade des „Schwebegeschosses“ durch händisch eingelegte, im Corbusier-Modulor variierende Schalbretter in Beton gegossen, danach aber noch händisch mit einem Hammer bearbeitet, sodass eine „Schraffur“ entstand, die sich mit dem wechselnden Lichteinfall verändert.
Natürlich entsteht bei einem derartig umfangreichen und vielschichtigen Projekt mit Denkmalschutz, Weiterbauen aus dem Bestand heraus und in dem historischen Umfeld eine Vielzahl an Unvorhersehbarem, an Problemen. Wie dennoch ein so außergewöhnliches Projekt gelingt, verriet Roland Winkler am Ende seiner spannenden Ausführungen: Das Prinzip des „positiven Hoffnungsdrucks“ begleitet das Architekt*innenteam bei all ihren Projekten. Dieses geht von der hoffnungsvollen Grundannahme aus, dass Probleme dazu beitragen, ein Projekt nicht schlechter, sondern besser zu machen. Dass man – eine entsprechende Flexibilität und Kreativität voraus gesetzt - durch Herausforderungen neue Lösungen und Qualitäten finden muss, die in neue Stärken umgewandelt werden können. So gesehen ein wirklich „starkes“ Wien Museum Neu, auf dessen Eröffnung man sich im Dezember 2023 bereits jetzt freuen kann.
Volker Dienst, 20230417
WINKLER+RUCK ARCHITEKTEN
Wien Museum Neu, kärnten.museum Rudolfinum (beide in Kooperation mit Ferdinand Certov) und Schatzkammer Gurk - drei aktuelle und sehr spannende Museumsprojekte im Vergleich. Welche Herausforderungen bringt das Weiterbauen im Bestand? Was gilt es zu schützen, was heraus zu schälen und wie können zukunftsfähige Museumslandschaften zeitgemäß ergänzt werden?
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Das Wien Museum Neu ist in aller Munde – lebhaft diskutiert und gerade fertig gestellt, wird es aktuell befüllt und eingerichtet und Anfang Dezember der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das Weiterbauen im Bestand bringt große Herausforderungen mit sich – was ist an der denkmalgeschützten Substanz erhaltenswert, was hat sich nur angelagert und wie schafft man es durch Weglassen wieder die Essenz der historischen Architektur heraus zu arbeiten? Anstatt im Einheitsbrei eines austauschbaren Museumschicks herum zu rühren verfolgen WINKLER+RUCK ARCHITEKTEN gemeinsam mit Ferdinand Certov die Strategie durch kräftiges „Schütteln“ alles Überflüssige solange abzuwerfen, bis das Wesentliche einer historischen Substanz wieder zum Vorschein kommt. Durch subtile Neuinterpretationen und zeitgemäße Ergänzungen mit sensiblen Details und hoher Materialität gelingt es ihnen, trotz Denkmalschutz, zeitgemäße und ganz besondere Museumslandschaften zu realisieren.
Drei Museen – drei Bauepochen – dreimal Denkmalschutz - drei ganz besonders spannende und herausfordernde Beispiele. Im Vortrag werden die Strategien und Ergebnisse zur Schatzkammer in Gurk, zum kürzlich fertig gestellten kärnten.museum im Rudolfinum in Klagenfurt - ebenso in Arbeitsgemeinschaft mit Ferdinand Certov - und zum Wien Museum Neu am Karlsplatz hinterleuchtet und vorgestellt. Roland Winkler (* 1965) und Klaudia Ruck (* 1966) verbindet seit 1994 nicht nur die Zusammenarbeit. Zunächst in Graz, dann seit 1998 das Architekturbüro in Klagenfurt, entwickelten sich Winkler+Ruck Architekten zu einem der profiliertesten Teams, nicht nur in Kärnten, sondern mittlerweile in einem internationalen Kontext. Was die beiden sonst noch antreibt? Einfach kommen, zuhören, mit diskutieren…
Im Anschluss laden wir, wie in alten Zeiten, zum informellen Austausch bei Wein und Buffet und freuen unser auf Euere zahlreiches Kommen.
Fotos © Winkler+Ruck